Hinter Dynamic Pricing bzw. Individual Pricing steckt die Idee, als Verkäufer, mit Hilfe von Preisdifferenzierungen die Gewinne zu optimieren. Das ist freilich nichts grundlegend Neues, wenn man an zeitlich und regional schwankende Benzinpreise, Schlussverkäufe in Textilgeschäften oder etwa individuelle Rabatte denkt. Was sich allerdings im digitalen Zeitalter ändert, ist, dass Marktfaktoren berücksichtigt werden können, die ohne Computerunterstützung nur schwer kalkulierbar wären. Ein entscheidender Treiber für die individuelle Preisgestaltung ist auch, dass mit zunehmender Verbreitung digitaler Medien vermehrt personenspezifische Daten zur Verfügung stehen. In der digitalen Welt gibt es also – zumindest potenziell – eine viel fundiertere Grundlage für die Dynamisierung bzw. Personalisierung von Preisen. Solche Preisdifferenzierungen lassen sich beispielsweise entlang folgender Faktoren durchführen:
- Einkaufszeitpunkt (hohe bzw. geringe Nachfrageperioden, saisonale Ereignisse, Kaufzeitpunkt bei zeitlich limitierten Produkten etc.)
- Dringlichkeit (kurzfristige Buchungen, äußere Bedingungen wie z.B. Wetter etc.)
- Standort (lokale Konkurrenz, Wohnort etc.)
- Vertriebskanal (Online-Vorteile, Landing Pages etc.)
- Endgeräte (mobiles oder stationäres Endgerät, Hersteller etc.)
- Kundenprofil (Internetnutzungsverlauf, vorhergehende Einkäufe, sozioökonomische Faktoren etc.)
Neben der Optimierung des Gesamterlöses kann Dynamic Pricing Unternehmen auch dabei helfen auf Angebote von Mitbewerbern zeitnah reagieren zu können oder Lagerbestände in einem optimierten Gleichgewicht zu halten. Ein weiteres Potenzial ist, dass in der Akquise mit technischen Marktanalyseverfahren potenzielle Kundengruppen definiert und mit abgestimmten Preisangeboten gezielt angesprochen werden können.
Nicht zu unterschätzen für Unternehmen sind allerdings auch die Risiken. Die größte Herausforderung ist die Frage der Fairness aus der Sicht von Kundinnen und Kunden. Praxisbeispiele zeigen, dass es rasch zu Reputationsschäden kommen kann, wenn Kundinnen und Kunden das Gefühl haben, durch zu hohe Preise unfair behandelt worden zu sein.
Die Dynamisierung und Personalisierung von Preisen auf Basis von Big Data-Analysen erfordern umfangreiches Know-how und große Investitionen, um im Worst Case nicht sogar nachteilige Effekte (z.B. unrentable Preise) zu erzielen. Die Rekrutierung entsprechend ausgebildeter Mitarbeiter gestaltet sich oft als sehr schwierig.
Die derzeitige Praxis von Unternehmen lässt sich am ehesten als Experimentierphase beschreiben. Zu den derzeit häufigeren Erscheinungsformen von Dynamic Pricing gehören häufig geänderte Preise ohne Berücksichtigung individueller Kundenprofile – meist als Reaktion auf Preisänderungen der Mitbewerber. Weitergehende Preisdiskriminierungen sind für Unternehmen derzeit oft zu aufwendig oder es fehlt das erforderliche Know-how. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Trend zu einer individualisierten Preisgestaltung fortsetzen wird.
Die stark variablen Mechanismen des Online-Pricing beeinflussen auch zunehmend den stationären Handel. In Supermärkten der Zukunft sollen Preise – so die noch teils spekulativen Ansätze – automatisiert und in Echtzeit an die jeweilige Einkaufssituation einzelner Konsument/innen angepasst werden. Pricing-Expert/innen bauen bereits heute auf eine derartige Entwicklung im stationären Handel und forcieren den Einsatz elektronischer Preisschilder und sogenannter Beacons, kleiner Chips, die via Bluetooth mit dem Smartphone der Kund/innen interagieren.
Aus rechtlicher Sicht ist die Individualisierung von Preisen unproblematisch, vorausgesetzt es werden Datenschutzbestimmungen, Diskriminierungsverbote sowie die Bestimmungen zur „Verkürzung über die Hälfte“ etc. eingehalten. Die größte Herausforderung in der Praxis ist wohl eine datenschutzrechtskonforme Implementierung.